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Zwischen Presseförderung und Pressefreiheit aufgerieben?

Zwischen Presseförderung und Pressefreiheit aufgerieben? Stephan Weicher

Staatliche Einflussnahme stellt eine reale Gefahr dar. Förderungen werden für die Branche zur Gratwanderung. Stephan Weichert erklärt warum.

Berlin – Staatliche Einflussnahme stellt eine reale Gefahr dar. Stephan Weichert erklärt die Gratwanderung der Branche durch Förderungen im aktuellen „medium magazin“:

 

Zwei Frösche springen aus Neugierde in einen Milchtopf. Sie laben sich eine ganze Weile an der leckeren Fettmilch, bis sie irgendwann bemerken, dass sie nicht mehr aus dem Topf herausklettern können. „Es gibt keine Rettung mehr, was sollen wir uns abplagen, es ist alles umsonst!“, schreit der eine Frosch und ertrinkt. Der andere Frosch gibt nicht auf und beginnt zu strampeln – so lange, bis die Milch zu einem Butterbrocken wird, so dass er sich schließlich mit einem beherzten Satz über den Rand des Topfes retten kann.

 

Diese Fabel des griechischen Dichters Aesop erinnert an das verrückte Dilemma, in dem sich die deutsche Presselandschaft seit geraumer Zeit befindet. Digitale Transformation, sinkende Werbeerlöse, Konkurrenzen durch Social Media und KI, auch das veränderte Konsumverhalten der Menschen lassen derzeit viele Verlagsgeschäftsführer verzweifeln, wie und ob es weitergehen kann. Der andauernde Überlebenskampf wirft Fragen auf: Sollen Medienhäuser angesichts des wirtschaftlichen Abschwungs aufgeben? Sollen sie weiterstrampeln in der Hoffnung, dass sich unabhängiger Journalismus bezahlt macht? Oder sollen sie sich um alternative Geldquellen wie staatliche Subventionen bemühen?

 

Zugegeben, in Zeiten von Krisen, Kriegen und KI klingen staatliche Förderprogramme wie die verlockende Butter im Milchtopf, mit deren Hilfe die Rettung gelingen soll. Und es ist naheliegend, dass viele in der Branche nach neuen tragfähigen Strukturen suchen, die helfen können, eine nachhaltige Presse zu bewahren: Stiftungsgelder, Spenden und Sponsoring stehen ebenso auf dem Prüfstand wie staatliche Alimentierungen. Um zu überleben, erscheinen viele Mittel recht – solange die journalistische Unabhängigkeit gewahrt bleibt.“

 

Doch genau das ist der Knackpunkt: dass sich profitorientierte Medien von staatlicher Unterstützung abhängig machen. Aus gutem Grund ist die Pressefreiheit besonders in Deutschland ein hohes Gut, das zum Wohle der Demokratie geschützt werden muss. Dass staatliche Einflussnahme eine reale Gefahr darstellt, lehrt uns die Geschichte. Auch ein Blick in andere Länder wie Russland, Türkei, China oder Venezuela, in denen Journalisten angegriffen und getötet werden, lässt einen erschaudern.

 

Bei uns ist das Spannungsverhältnis von Presseförderung und -freiheit subtiler, potenziell aber nicht minder heikel. Der digitale Strukturwandel, den die Entwicklungen der KI abermals beschleunigt haben, setzt Medienhäuser hierzulande unter Zugzwang. Um weiterhin Top-Recherchen abzuliefern, Relevantes zu berichten und qualifiziertes Personal einzustellen, müssen sie nach kreativen Einkommensquellen Ausschau halten. Für Technologieentwicklung (Prototyping) und Factchecking waren in den letzten Jahren daher Sponsorengelder der Tech-Riesen Facebook/Meta, Google und Tiktok hochwillkommen. Diese vielen Millionen wirkten angesichts der wirtschaftlichen Schieflage wie der Butterbrocken, von dem aus Redaktionen Innovationssprünge unternehmen konnten.

 

Inzwischen sind diese Fördermittel – bis auf wenige Ausnahmen – aufgebraucht. Gleichzeitig hat sich die Gemengelage in den Medien verschlimmbessert. Deshalb geraten Stiftungsgelder und – seit der Innovationsförderung der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien (BKM) – zuletzt verstärkt Bundes- und EU-Gelder ins Visier der Medien, um die eigene defizitäre Lage auszugleichen. Obwohl die „Staatsferne“ für unabhängige Medien verpflichtend ist, bieten Mischfinanzierungen, wie sie einige bereits praktizieren, eine unschöne  Angriffsfläche für irrlichternde Kritiker von rechts.

 

Was die Diskussion um derlei Konstruktionen aktuell zusätzlich befeuert, ist das Messen mit zweierlei Maß: Auf der einen Seite will man als Marktteilnehmer weiter die eigenen Profite mehren; auf der anderen Seite sich mit Steuergeldern Innovations- und Bildungsprojekte fördern lassen, die nicht zuletzt der eigenen Kundschaft nutzen und damit zweifelsfrei einen Eingriff in den Markt darstellen. Selbst öffentlich geförderte Einzelfinanzierungen werden – mindestens aus drei Gründen – jedoch auf Dauer scheitern: Erstens konkurrieren die Projekte, wenn ihre Initiatoren nicht komplett in der Gemeinnützigkeit zu verorten sind, stets mit (anderen) kommerziellen Marktteilnehmern (Wettbewerbsverzerrung). Zweitens: Solange für privatwirtschaftliche Medien keine buchhalterischen Offenlegungspflichten gelten wie für gemeinnützige Organisationen, lässt sich die konkrete Verwendung von Fördermitteln für Außenstehende und damit deren inhaltliche Unabhängigkeit nicht vollständig  nachvollziehen (Transparenzgebot).

 

Drittens, der wichtigste Kritikpunkt: Für viele Redaktionen geht die Staatsförderung am eigentlichen Zweck ihres Tuns vorbei; da in Deutschland die rechtliche Grundlage eines „gemeinnützigen Journalismus“ fehlt, behelfen sich einige Häuser eines „Tricks“, indem sie plötzlich als Bildungsagenturen und Medienkompetenzzentren in Erscheinung treten. Und das, obwohl Außenstehenden wenig plausibel erscheint, warum nicht durch Weiterbildungen zumindest indirekt Journalismus gefördert wird (Zweckentfremdung). Gerade der Umgang mit öffentlichen Geldern schafft besondere Verantwortlichkeiten und erfordert eine besondere Verankerung im gesellschaftlichen Bewusstsein.

 

Damit es erst gar nicht zu einer verdeckten Presseförderung kommt, müssten kommerzielle Medien den Schritt wagen, sich konsequent der „Nonprofit- Mission“ zu verschreiben wie die traditionsreiche „Salt Lake Tribune“: 2019 war sie die erste Zeitung in den USA, der die Bundessteuerbehörde IRS den Gemeinnützigkeitsstatus zuerkannt hat. Dank der Wandlung profitiert die „ Tribune“ seither nicht nur von der öffentlichen Legitimität, sondern hat Anspruch auf staatliche Zuschüsse und operiert weitgehend steuerbefreit. Solche Beispiele zeigen, dass journalistischer Erfolg nicht von Profiten abhängt, sondern gemeinnützig sein kann. Die „Tribune“ hat eingesehen, dass sie nicht auf verschiedenen Hochzeiten tanzen darf. Solche Richtungswechsel könnten auch für deutsche Verlage wegweisend sein: Denn Journalismus ist schon lange kein gutes Geschäft mehr, in demokratiefeindlichen Zeiten wie diesen ist seine Bedeutung für das Gemeinwohl umso entscheidender. Meine Überzeugung ist: Guter Journalismus braucht Zuwendung( en) vom Staat, um weiterhin überlebensfähig zu sein. Aus eigener Kraft wird er vor allem im Lokalen vieles kaum noch leisten. Doch um großflächige Zeitungswüsten wie in den USA zu vermeiden, sollte die öffentliche Hand ab sofort konsequent ausschließlich den gemeinnützigen Journalismus fördern.

 

Zur Titelgeschichte: „DPA –Wie viel Geld vom Staat darf es sein?“

 

Zum Autor:  Stephan Weichert ist Medienwissenschaftler, Journalist und Social Entrepreneur. Seit 15 Jahren leitet er mit dem Journalisten Alexander von Streit und dem Medienforscher Leif Kramp den Think-&-Do-Tank Vocer, der Medienakademien, Forschung und Beratung anbietet. 2021 hat er das unabhängige Vocer Institut für Digitale Resilienz mitgegründet, das im Sommer 2024 die vom BKM geförderte Onlineplattform für gemeinnützigen Journalismus NPJ.news gelauncht hat. Er ist Beiratsmitglied im Forum für gemeinnützigen Journalismus. Für Medienhäuser bietet er Praxis-Workshops zu digitaler Resilienz an, zu seinen Auftraggebern gehörte unter anderem die dpa.