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True Crime: Wie über Kriminalfälle erfolgreich, effizient und emphatisch berichten

True Crime: Wie über Kriminalfälle erfolgreich, effizient und emphatisch berichten (Illu: ADOBE STOCK/LIEZDESIGN)

Das Interesse an True Crime boomt. Das bietet journalistisch eine Fülle von Möglichkeiten. Worauf ist bei Recherchen zu Verbrechen im Detail zu achten? Und wie kommt man an Informationen? Ein Überblick in 10 Punkten.

München –  Bei der Recherche von Kriminalfällen haben Reporter einige Rechte, da sie im öffentlichen Interesse Straftaten nachspüren. Behörden unterliegen einer presserechtlichen Auskunftspflicht: Sie dürfen Anfragen nicht einfach ablehnen und müssen bei der Recherche unterstützen. Was jedoch nicht heißt, dass man alle Infos zu Tätern oder Opfern erhält – sie werden durch das Persönlichkeitsrecht besonders geschützt. Aber: Der stetige Austausch lohnt sich. Inoffizielle Informationen erhält oft erst, wer sich mit der Berichterstattung einen Namen gemacht und als seriös wahrgenommen wird.

 

Dazu kommt: Behörden geben nur an Medien solche Informationen weiter, die die Ermittlungen nicht gefährden. Hier beginnt oft die eigentliche Recherche: die Suche nach beteiligten Anwälten und Informanten, Gespräche mit Betroffenen oder Zeugen – oder auch mit Ermittlern, um die Infos unter der Hand zu bekommen. Doch Achtung: Das klappt oft nur, wenn die Geschichten, die sich daraus speisen, diesen Informationsgebern in irgendeiner Form dienen. Andreas Thieme zählt in der „Journalisten-Werkstatt Ture Crime“ zehn Schritte für die Recherche auf:

 

1. Sei immer vor Ort

Vom Büro aus ein paar Telefonate führen? Das reicht in der Regel nicht zur Recherche von Kriminalfällen. Die goldene Maxime lautet: Möglichst nah dran und oft vor Ort sein. Am Tatort, im Gerichtssaal, bei Betroffenen. Es gilt, viele Gespräche zu führen, Informationen zu sammeln, Hinweise zu überprüfen. An das Material kommt nur selten, wer vor allem am Computer sitzt. Gerade weil Verbrechen sehr emotional auf alle Beteiligten wirken, sind gewinnbringende Informationen oft nur im persönlichen Austausch zu bekommen. Denn vor Ort gibt es fast immer neue Puzzleteile, über die man schreiben kann. Außerdem trifft man oft auf Zeugen oder Angehörige, die Kerzen, Briefe, Blumen oder Bilder ablegen.

 

2. Bleib hartnäckig!

Viele Fälle klären sich nicht binnen Tagen auf. Akten haben nicht selten Tausende Seiten. Und es kann lange dauern, bis Betroffene oder Anwälte mit Reportern reden wollen. Ergo: Wer nicht bereit ist, sich inhaltlich über Wochen mit einer Geschichte auseinanderzusetzen und weite Wege zu gehen, wird es nicht leicht haben, starke Geschichten zu produzieren. „Man muss Zeit mitbringen und darf nicht ungeduldig werden. Kriminalrecherchen sind oft sehr aufwendig und langwierig“, sagt Daniel Müller („Zeit Verbrechen“). „Du musst dich dort umhören, wo es passiert ist. Du musst – zum Beispiel – in der Kneipe hocken und abends dem Stammtisch zuhören, wenn du Leute finden willst, die dir was erzählen können. Das geht nicht vom Schreibtisch aus.“ Als Beispiel nennt Müller die Recherchen zu Anis Amri, der 2016 bei einem Anschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz zwölf Menschen ermordete: „In den Akten fanden wir rund 40 Moscheen, in denen Amri gewesen ist oder verkehrt haben soll. Ich bin alle abgefahren. In 32 erhielt ich keine Infos. In der 33. Moschee gab es dann einen Mann, der den Attentäter kannte. Er hat mir viel erzählt und weitere Kontakte gegeben.“

 

Ein Rat: Lass dich von einzelnen Absagen auf Interviewanfragen nicht entmutigen, denn oft wollen Kontakte im Umfeld von Verbrechen erst sichergehen, dass sie nach extremen Erlebnissen an einen vertrauenswürdigen Gesprächspartner geraten.

 

3. Recherchiere möglichst breit

Wie kommt man an den einen goldenen Tipp? Indem man die Wahrscheinlichkeit dafür erhöht. Dazu ist Aufwand nötig. Nach einem Hausbrand beispielsweise drei Anwohner zu fragen, bringt selten Erfolg, 30 sind realistischer. Auch die Nachbarn können wichtige Hinweisgeber sein. Ebenso Kioske, Geschäfte oder Restaurants im Viertel. Sich dort als Journalist auszuweisen und z. B. seine Visitenkarte zu hinterlassen, ist wichtig, um ernst genommen zu werden. Wer im Team arbeitet, kommt schneller voran: Während ein Kollege vom Büro aus die Straße „abtelefoniert“, kann der Reporter vor Ort mit Beteiligten sprechen. Das erhöht die Effizienz ungemein.


4. Baue dir verlässliche Kontakte auf

5. Bleib an Fällen dran

6. Verfolge die Konkurrenz

7. Lege eine Datenbank an

8. Zeige Respekt gegenüber Betroffenen

9. Prüfe dein Material genau

10. Lerne, mit Emotionen professionell umzugehen

Zu den Tipps

 

  • Philipp Fleiter: True-Crime-Podcast
  • Quellen für Themen
  • Die Recherche
  • Malte Herwig: Mit Tätern reden
  • Über Opfer berichten
  • Blaulicht im Lokalen
  • Annette Ramelsberger: Gerichtsreporte
  • Schreiben über Gerichtsthemen
  • Aus der Praxis

Zur ganzen Werkstatt

 

Der Autor der Journalistenwerkstatt:

Andreas Thieme ist Reporter beim Zeitungsverlag Münchner Merkur und tz. Er unterrichtet auch Crime-Berichterstattung als Dozent an der Akademie der Bayerischen Presse (ABP) in München. Kontakt: Andreas.Thieme@merkurtz.de