Streit zwischen Trump und „Washington Post“ -Eigentümer Jeff Bezos spitzt sich zu
Gibt Jeff Bezos, Eigentümer der „Washington Post“, sich freundlich gegenüber dem künftigen US-Präsidenten Donald Trump, weil er das seit mehr als einem Jahr laufende Kartellverfahren und die Zerschlagung seines Online-Imperiums fürchten muss?
New York/München (KNA) – Um die Auseinandersetzung zwischen Jeff Bezos und Donald Trump zu verstehen, muss man von Lina Khan erzählen. Hier einer der reichsten Männer der Welt, Multi-Milliardär, Gründer von Amazon und seit 2013 Eigentümer der „Washington Post“. Dort der künftige amerikanische Präsident. Dazwischen die Vorsitzende der amerikanischen Behörde für Verbraucherschutz und Wettbewerbsaufsicht, der Federal Trade Commission (FTC), die bereits vor mehr als einem Jahr ein Verfahren gegen Amazon eingeleitet hat, um das Unternehmen möglicherweise zu zerschlagen.
Es ist eine Auseinandersetzung, die nach der Wahl in den Fokus rückt, auch wegen der offenen Frage nach der Zukunft von Lina Khan und ihrer Klage. Kann und wird sie unter Trump als oberste Verbraucherschützerin und Wettbewerbshüterin weitermachen können? Ihre Amtszeit als Vorsitzende der FTC ist im September abgelaufen, seitdem ist sie geschäftsführend im Amt. Wird Trump sie verlängern und bestätigen? Das gilt als unwahrscheinlich, denn sie ist Demokratin. Elon Musk tweetete bereits vor der Wahl, sie werde gefeuert. Rupert Murdochs Boulevardblatt „New York Post“, in seiner Berichterstattung traditionell pro Trump, veröffentlichte am Freitag letzter Woche eine Animation: Trump steckt Khan in die Mülltonne und wirft sie weg. Ein Wunsch Murdochs oder Wirklichkeit? Andererseits war ein hartes Vorgehen gegen Amazon schon eines von Trumps Wahlkampfthemen bei seiner ersten erfolgreichen Präsidentschaftskandidatur 2016. Lina Khan hat mit dem Verfahren also umgesetzt, was Trump Amazon schon lange androht.
Für das laufende Kartellverfahren in Sachen Amazon bedeutet die aktuelle Situation zunächst Unsicherheit. Die auch dazu geführt haben mag, dass Bezos mit der „Washington Post“ nicht in den offenen Kampf gegen Trump ziehen wollte und deshalb die eigentlich von der Redaktion geplante Wahlempfehlung des einflussreichen Blattes für Kamala Harris verhinderte.
Verschärfter Kurs seit der Wahl
Seit seiner Wiederwahl verschärft Donald Trump nun seinen Kurs gegen kritische Berichterstattung weiter. Er will gerichtlich gegen führende Publikationen vorgehen, die seiner Ansicht nach im Wahlkampf falsch über ihn berichtet haben. Darunter sind, so das Fachblatt „Columbia Journalism Review“ (CJR), unter anderem CBS News, die „New York Times“, der Buchverlag Penguin Random House – und die „Washington Post“. Bereits vor der Wahl ließ Trump seine Anwälte Schreiben verschicken, in denen er Klagen androhte und beispielsweise von der „New York Times“ und Penguin Random House zehn Milliarden Dollar Schadensersatz fordert. Begründung: Diese hätten falsch über Trumps Finanzen – auch im Zusammenhang mit den gegen den Immobilienmagnaten laufenden Strafverfahren – berichtet.
Zudem hätten CBS und die „Washington Post“ Wahlkampfhilfe für seine Gegnerin Kamala Harris geleistet. Auch CBS wurde auf die Zahlung von 10 Milliarden Dollar verklagt – laut „CJR vor einem Gericht in Texas. Die „New York Times“, CBS und die „Washington Post“ wiesen die Vorwürfe als unbegründet zurück.
Vermutlich hätte die beabsichtigte Wahlempfehlung der „Post“ für die demokratische Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris gar nichts am deutlichen Wahlsieg von Donald Trump am 5. November geändert. Dafür ist jetzt in der Wahrnehmung einer der wichtigsten Zeitungen des USA und ihres Eigentümers nichts mehr so, wie es mal war. Ist das noch die Zeitung, die in Trumps erster Amtszeit kämpferisch gegen seine alternativen Fakten anging und tapfer über seine Machenschaften berichtete? Die das Video mit frauenfeindlichen Äußerungen im Wahlkampf 2016 veröffentlichte? Die ihr in der Ära Bezos verkündetes Motto „Democracy dies in Darkness“ (Demokratie stirbt in der Dunkelheit) als Berufung und moralischen Kompass empfand?
Oder ist die verhinderte Wahlempfehlung bereits ein Anzeichen dafür, dass sie weichgespült ist und Trump überfreundlich begegnen will? Am Tag, als Bezos in der „Washington Post“ begründete, warum das Aus für Wahlempfehlungen kein Zeichen für ein Einknicken, sondern vielmehr für Glaubwürdigkeit sei, traf der Chef seiner Raumfahrtsparte Blue Origin höchstpersönlich mit Trump zusammen. Denn auch für Blue Origin geht es um Milliarden-Aufträge der Regierung. Das habe jedoch seine Entscheidung nicht beeinflusst, schrieb Bezos. Dennoch hatten da schon mehr als 250.000 Abonnenten empört das Blatt gekündigt – die Erkenntnis, dass es vielleicht sinnvoller sein könnte, lieber das Amazon Prime-Abo zu kündigen, wozu Medien wie Slate und „The Atlantic“ aufriefen, setzte sich erst langsam durch. Immerhin spülte Prime 2023 mehr als 40 Milliarden Dollar in die Kassen von Amazon.
Handfeste wirtschaftliche Interessen
Dass Jeff Bezos und Amazon handfeste wirtschaftliche Interessen auch politisch verfolgen, wurde schon 2019 mitten in Trumps erster Amtszeit als US-Präsident deutlich. Damals reichte Amazon eine Beschwerde ein, weil das Verteidigungsministerium Microsoft bei einer Ausschreibung um Cloud-Speicherplatz vorgezogen hatte. Es ging um zehn Milliarden Dollar. Amazon argumentierte, dass Trump den Auftrag verhindert habe, um Bezos zu schädigen.
Seit dem 26. September 2023 – da hieß der Präsident schon lange Joe Biden – stehen Amazon und Bezos erst recht vor Herausforderungen. An diesem Tag reichten die Kartellbehörde und 17 Bundesstaaten ihre Klage gegen Amazon, Case Nr 2:23-cv-01495, ein. Die 172 Seiten umfassende Klageschrift beginnt – fast literarisch – mit folgenden Worten: „Die Anfänge des Online-Handels waren voller Möglichkeiten. Der Wettbewerb blühte. Eine neu verbundene Nation sah eine weit offene Grenze vor sich, in der jeder mit einer guten Idee gute Chancen auf Erfolg hätte. Heute ist diese weit offene Grenze jedoch geschlossen. Ein einziges Unternehmen, Amazon, hat die Kontrolle über einen Großteil des Online-Einzelhandels übernommen.“ Zur Begründung der Klage heißt es so klar wie knapp: „Amazon ist ein Monopolist. Es nutzt seine Monopole auf eine Weise aus, die Amazon bereichert, aber seinen Kunden schadet: sowohl den zig Millionen amerikanischen Haushalten, die regelmäßig im Online-Superstore von Amazon einkaufen, als auch den Hunderttausenden Unternehmen, die auf Amazon angewiesen sind, um sie zu erreichen.“
Dabei verstoße Amazon nicht wegen seiner Größe gegen den Wettbewerb, sondern weil das Unternehmen mit seinen Methoden Konkurrenten behindere und ausschalte. So habe Amazon beispielsweise die Gebühren für Verkäufer so stark erhöht, dass Berichten zufolge von jedem typischen Verkäufer, der Amazons Fulfillment-Service nutzt, fast 50 Prozent der Kaufsumme einbehalten wird. Die Verkäufer müssten zudem Anzeigen bei Amazon schalten, um potenzielle Kunden zu erreichen. In einer wettbewerbsintensiven Welt würde die Entscheidung von Amazon, die Preise zu erhöhen und die Dienstleistungen zu verschlechtern, eine Chance für Konkurrenten und potenzielle Konkurrenten schaffen. Aber Amazon habe eine rechtswidrige Monopolstrategie verfolgt, um diese Möglichkeit auszuschließen.
Mit 32 Jahren an der Spitze der FTC
Für Kartellbehördenchefin Lina Khan ist die Klage gegen Amazon auch eine persönliche Sache, was sie vermutlich abstreiten würde. Sie hat sich bereits während ihres Studiums intensiv mit Fragen des Kartellrechts mit Blick auf Amazon befasst. 2017 veröffentlichte sie ihre aufsehenerregende Studie „Amazon‘s Antitrust Paradox“ im „Yale Law Journal“. Sie sollte fortan ihre Karriere bestimmen und sie 2021 mit gerade einmal 32 Jahren an die Spitze der FTC führte – als jüngste Chefin in der Geschichte der Behörde. Khan argumentiert in ihrem berühmten Artikel am Beispiel Amazon, dass das Kartellrecht neu ausgelegt werden müsse, um das Monopole von Organisationen wie Amazon zu verhindern.
Laut der amerikanische Journalistin Dana Mattioli vom „Wall Street Journal“ war bereits mit dem ersten Wahlsieg von Trump 2016 in den Führungsetagen von Amazon „Panik ausgebrochen“. Dort wurde fest mit einem Sieg von Hillary Clinton gerechnet, die Amazon als wohlgesonnen galt. Im Wahlkampf hatte der rechte Populist Sean Hannity Trump darauf angesprochen, dass Bezos „Washington Post“ 20 Reporter auf ihn angesetzt habe. Darauf erklärte Trump zum ersten Mal, Amazon habe ein „großes kartellrechtliches Problem“. Und nannte das Blatt ungeachtet der Tatsache, dass die Zeitung Bezos persönlich und nicht Amazon gehört, fortan „Amazon Washington Post“ oder einfach „Amazon Post“. Bezos nutze die Zeitung als politisches Machtinstrument, so Trumps Vorwurf. Bezos wisse, dass er, Trump, Amazon für ein Monopolunternehmen halte und deswegen wolle Bezos „verhindern, dass ich ins Weiße Haus komme“, so Trump damals.
Auf Wahlkampftouren organisierte der Präsidentschaftskandidat regelmäßig Treffen mit Einzelhändlern, die beklagten, Amazon treibe sie in die Pleite. Außerdem genieße Amazon eine Vorzugsbehandlung: „Wird die Fake News-‘Washington Post‘ als Waffe der Lobbyisten gegen den Kongress eingesetzt, um Politiker davon abzuhalten, sich mit dem Steuermonopol von Amazon zu befassen?“, fragte Trump scheinheilig. Bezos wiederum tweetete seinen Wunsch, Trump ins Weltall zu befördern und versprach, er werde ihm einen Sitzplatz in seiner Rakete frei halten. Es folgte die vielzitierte Enthüllung über das frauenverachtende Video, in dem Trump prahlte: „Wenn du ein Star bist, lassen sie dich machen. Du kannst alles machen...“
Geht es um Geld oder Macht?
Im Juni 2018 fragte auch der britische Guardian, der mit seiner Online-Ausgabe für die USA neben der „New York Times“ und der „Post“ zu den wichtigsten liberalen Stimmen gehört: „Why does Trump hate Jeff Bezos: Is it about power or money?“ Die Auseinandersetzung von Bezos und Trump sei ein epischer Kampf des reichsten Mannes gegen den mächtigsten.
Ein ehemaliger leitender Berater von Trump sagte: „Amazon, Google und Facebook sind (...) Monopole in verschiedenen Sektoren. Der Präsident mag keine Monopole – er mag den Wettbewerb.“ Im November 2018 kündigte Trump an, seine Regierung prüfe Kartellverstöße von Amazon, Meta/Facebook und der Google-Mutter Alphabet. In einem Videointerview erklärte der Präsident, er wolle den US-amerikanischen Technologiegiganten „nicht schaden“, erwäge aber Maßnahmen. „Wir nehmen das [Kartellrecht] sehr ernst.“ Geht es ihm wirklich um Wettbewerb? Der „Guardian“ hatte seine Zweifel. Die Gegnerschaft sei wohl eher durch Bezos‘ Besitz der Post motiviert – einer Bastion dessen, was Trump „Fake-News Media“ nennt – und auch ganz persönlich durch Neid auf Bezos Reichtum.
Nach Trumps Wahlsieg 2016 kam es zu einem denkwürdigen Treffen der Technologie-Bosse im New Yorker Trump Tower. Darunter waren auch Elon Musk und Jeff Bezos. Der Amazon-Chef sagte damals: „Ich bin wahnsinnig gespannt, weil ich glaube, diese Regierung könnte für Innovationen stehen.“ Nach dem Treffen habe er in einem Nebenzimmer lauthals und herzhaft gelacht, schreibt „Wall Street Journal“-Reporterin Dana Mattioli in ihrem Buch „The Everything War“ (deutsche Ausgabe: „Der Gigant“, Deutsche Verlagsanstalt). Bei einem weiteren Treffen habe Bezos dem Präsidenten erklärt, dass er sich nicht in die Berichterstattung seiner Zeitung einmische. Trump habe das nicht verstanden und Bezos gesagt, wenn er Besitzer der „Washington Post“ wäre, dann würde er diese Art der negativen Berichterstattung unterbinden. Am Tag danach rief er Bezos an und bat diesen dafür zu sorgen, dass die „Washington Post“ ausgewogener über seine Präsidentschaft berichte.
Konservative Medien machen Stimmung
Damals fruchtete das nicht. Noch nicht. Im Wahlkampf 2024 sah das für die Zeitung nicht viel anders aus, bis Bezos mit seiner persönlichen Einmischung und Entscheidung in Sachen Wahlempfehlung alles auf den Kopf stellte. In den Wochen vor und nach der Wahl spitzt sich auch die Auseinandersetzung um Lina Khan und die Kartellfrage weiter zu. Man könnte es Lina Khans Amazon Paradox nennen: Sie setzt um, was Trump seit Jahren androht, aber am Ende muss sie vermutlich doch gehen. Konservative Medien machen Stimmung gegen die junge Kartellamtschefin. Ihre Eigentümer wollen freie Bahn für weitere Fusionen im weiterhin schrumpfenden US-Pressemarkt.
Es kann Jahre dauern, bis ein Urteil in der Kartellklage vorliegt. Amazon hat sich darauf eingestellt und wird sie bekämpfen. Und selbst wenn das Unternehmen zerschlagen wird, könnte sich wiederholen, was einst bei der wohl einzigen vergleichbaren, tatsächlich vollzogenen Zerschlagung eines übermächtigen Konzerns passierte: Als Rockefellers Standard Oil 1911 aufgelöst und in 34 Einzelunternehmen aufgeteilt wurde, waren die meisten davon immer noch mächtiger als ihre Konkurrenten.