Vermischtes
KNA – Joachim Huber

Roger de Weck: „Journalismus ist eine elementare Infrastruktur der Demokratie“

In seinem Buch „Das Prinzip Trotzdem – Warum wir den Journalismus vor den Medien retten müssen“ bürstet Roger de Weck die Werte des Journalismus und den aktuellen Aktionismus der Medien gegen den Strich und empfiehlt skandinavische Verhältnisse.

Berlin (KNA) – Roger de Weck ist in der bundesdeutschen Medienszene mindestens so einflussreich wie in seiner Schweizer Heimat. Dort war er von 2011 bis Ende September 2017 Generaldirektor der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft (SRG SSR). Den deutschen Journalismus kennt de Weck aus seiner Zeit als Redakteur und später Chefredakteur der Wochenzeitung „Die Zeit“. Zuletzt gehörte der 71-Jährige dem von den Bundesländern eingesetzten Zukunftsrat zur Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks an, der Anfang des Jahres seine Ergebnisse präsentierte.


Nun hat de Weck ein Buch veröffentlicht, in dem er mit den Medien abrechnet und die Krise des Journalismus analysiert. In „Das Prinzip Trotzdem – Warum wir den Journalismus vor den Medien retten müssen“ zeigt er aber auch Auswege aus der selbstverschuldeten Krise auf.

 

Herr de Weck, Sie formulieren in Ihrem Buch einen starken Gegensatz: Keine Koexistenz, sondern eine Konfrontation von Journalismus und Medien. Haben Sie dafür handfeste Belege?

Roger de Weck: Guter Journalismus ist nüchtern, der Medienbetrieb zusehends aufgeregt. Journalismus ist ein Kind der Aufklärung, die auf den vernunftgeleiteten Diskurs baut. Doch die Medienwelt setzt immer stärker auf Emotionalisierung. Journalistinnen und Journalisten halten Distanz, während weite Teile des Medienbetriebs sich den Nutzerinnen und Nutzern anbiedern. Der Journalismus widmet sich dem Gegenstand der Berichterstattung, der Medienbetrieb betreibt inflationär einen exhibitionistischen Ich-Journalismus: „Geschichten, die mein Leben schrieb“ – meistens bloß Geschichtlein. Der Berichterstatter wird wichtiger als der Gegenstand der Berichterstattung.

 

Auf der „Sollseite“ summieren sich bei Ihnen „Boulevardigitalisierung, Ich-Journalismus, Betreuungsjournalismus, Meinungsinflation“. Zugleich bedient solcher Journalismus nachgewiesenermaßen doch Publikumsinteressen. Warum sehen Sie darin einen Journalismus der minderen Qualität, einen, der die sozialen Medien imitiert, statt zu eigenem Stand und Statur kommen zu wollen?

Instagram und Co. sind ein Jahrmarkt der Selbstdarsteller. Der Ich-Journalismus ahmt das nach. In sozialen Medien tummeln sich Influencerinnen und Influencer, die uns erläutern, wie wir optimiert leben und lieben. Ebenso raumgreifend ist inzwischen das Life Coaching in journalistischen Medien. Auf X muss jeder Post einen Pflock einschlagen, um Aufsehen zu erregen. Ähnlich wird der Journalismus tendenziell plakativer als ohnehin. Das ist nicht Aufmerksamkeitsökonomie, sondern Aufregungsökonomie – um Klicks zu erzielen und „Conversions“, wenn der Nutzer aus Interesse an einem Beitrag ein Abonnement löst. Genau das bezeichne ich als „Boulevardigitalisierung“. Journalisten mutieren allmählich zu Content Providern, „Inhaltebesorgern“. Ein furchtbares Wort.

 

Zur Klärung des Sachverhaltes: Was sind für Sie relevante Informationen, sprich Informationen, die der Profession zu Ruhm und Ehre gereichen?

Der Dreiklang des Journalismus ist seit je: Information, Bildung, Unterhaltung – am besten Unterhaltung mit Haltung. So soll es bleiben, doch auf das vernünftige Verhältnis kommt es an. Ich halte es mit einem der Herausgeber der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, Jürgen Kaube, der sagt: „Wir folgen [...] dem Prinzip der homogenen Neugier, die sich auf alles erstreckt. Alles kann interessant sein.“ Das ist Journalismus. Der Medienbetrieb dagegen bringt vor allem das, was „zieht“: was das große Publikum anklickt.

 

Warum denn nicht?

Wenn immer mehr Medien das bringen, was „funktioniert“, dann bringen alle das Gleiche. Der Wettbewerb erzeugt paradoxerweise nicht Unterscheidbarkeit, sondern öde Angleichung. Das stößt nicht wenige Menschen ab, die sich still und leise von dem dauererregten Medienbetrieb entfernen. Rasch wächst die Zahl der „Nachrichtenvermeider“. Im digitalen On-demand-Zeitalter sollte unser Gewerbe wieder - wie einst die gedruckte Zeitung - viele kleine Publika zu kumulieren versuchen, denn jeder ruft ab, was ihn interessiert.

 

Nun ist der Journalismus, der diesen Namen verdient, nicht nur aus eigenem Zutun gefährdet, sondern wird auch von Teilen der Bevölkerung und der Parteien attackiert. Reicht es da aus, wenn sich Journalistinnen und Journalisten resilient verhalten?

Jene Medien, die nach wie vor in die Redaktion investieren - wie etwa die FAZ – halten sich besser als diejenigen, die den Substanzverlust durch viel Reißerisches zu kaschieren versuchen. Der neue Eigentümer von „Le Monde“ hat die Redaktion von 300 auf 550 aufgestockt, bald verdoppelte sich die Leserzahl auf 600.000. Er meinte: Wer soll ein Medium kaufen, das nichts zu verkaufen hat? Auch „Die Zeit“, der ich verbunden bleibe, ist eine Erfolgsstory, unter anderem weil die Eigentümer kontinuierlich in deren Ausbau zu einer Verlagsgruppe investieren.

 

Was können Journalistinnen und Journalisten bewirken?

Berufshalber kritisieren sie sämtliche Fehlentwicklungen in Politik und Wirtschaft - sie sollten frontal die Fehlentwicklungen in der eigenen Branche thematisieren. Und bekämpfen. Wer oft und immer öfter jammert, verliert vielleicht den Sinn dafür, dass jede und jeder am eigenen Arbeitsort einen kleinen Spielraum hat, um all jene „Content Manager“ auflaufen zu lassen, die sich weniger für das Angebot als vielmehr für die Nachfrage interessieren, für die Klicks.

 

Sie schreiben in diesem Zusammenhang von einem „Generalangriff auf den Journalismus“. Zugleich muss konstatiert werden, dass das Vertrauen der Nutzerinnen und Nutzer in die Glaubwürdigkeit von Informationen stark gelitten hat, der Wert liegt gerade noch bei 50 Prozent der Bevölkerung. Welche Gründe sehen Sie dafür?

Der Journalismus hat sein altes Monopol als Gate Keeper – der die Informationen sucht, prüft und ausliest – eingebüßt. Aber er verliert zusätzlich an Gewicht und Geltung, wenn er das Anspruchsvolle und Schwierige fürchtet. Zum Beispiel: Am Haushalt einer Kommune zeigt sich jeweils, was die lokalen Machtträger wirklich vorhaben. Die Lokaljournalistin, die diesen Etat akribisch durchleuchtet, wird gewiss nur wenige Klicks erzielen, aber viel journalistische Gegenmacht entfalten. Mittelfristig schafft kritischer, relevanter Journalismus mehr Publikumsbindung als der mediale Anbiederungsbetrieb.

 

Nun will Ihr Buch beileibe nicht nur eine (An-)Klageschrift sein, sondern auch ein Wegweiser zur Besserung der Verhältnisse. Der Staat müsse den Journalismus fördern, sagen Sie. Wie soll das gehen?

Journalismus ist eine elementare Infrastruktur der Demokratie. So ist es eine elementare Aufgabe des demokratischen Staats, sie nicht verlottern zu lassen wie die Deutsche Bahn. Wo der Markt versagt, steht die öffentliche Hand in der Pflicht.

 

Journalismuspolitik als gelungene Medienpolitik – wird sich dafür die Politik gewinnen lassen? Die Diskussion um eine vernünftige Presse- beziehungsweise Journalismusförderung in Deutschland ist bislang ein Jammertal.

Beispielhaft ist Nordeuropa mit bevölkerungsarmen Flächenstaaten, in denen vor 30 Jahren schon die Zustellung gedruckter Zeitungen ruinös wurde. Deshalb haben sie früh gehandelt. Die vier nordeuropäischen Länder belegen heute die Spitzenplätze in der Rangliste der Medienfreiheit von „Reporter ohne Grenzen“, die Spitzenplätze in Sachen Medienvielfalt und Medienvertrauen, und die Spitzenplätze bei der Medienförderung: nämlich durch unabhängige Instanzen, die gemäß festen Regeln quasi-automatisch die Hilfsgelder verteilen. Faktisch widerlegt ist das Klischee, Staatshilfen beschädigten die Staatsferne. Schweden hat dank proaktiver Medienpolitik in jeder Kleinstadt ein bis zwei unabhängige Lokalmedien, die unabhängig von einer Zentralredaktion arbeiten. Dänemark unterstützt die journalistische Arbeit: Kürzt der Verlag den Redaktionsetat, erhält er weniger Zuschüsse.

 

Nun ist die Presse nur ein Teil der Medien, der öffentlich-rechtliche Rundfunk ein anderer. Sie selbst sind Mitglied des Zukunftsrates, der Vorschläge zu einer Reform des Systems gemacht hat. Jetzt hat die Rundfunkkommission der Länder Reformen vorgestellt, darunter die Verringerung der Hörfunkwellen, die Zusammenlegung von Fernsehprogrammen. Passt das zu den Forderungen des Zukunftsrates?

Politik ist die Kunst des Möglichen und manchmal des fast Unmöglichen: Was die Ministerpräsidentenkonferenz vorige Woche beschloss, ist die größte Reform der Öffentlich-Rechtlichen seit Gründung des ZDF 1961. Ein Erfolg, ein bedeutsamer Schritt, dem in absehbarer Frist weitere folgen dürften. Besonders für die ARD gilt: Je mehr Umbau, desto weniger Abbau. Es lässt sich viel Geld von der Verwaltung und der disparaten Technik ins zukunftsweisende digitale Angebot verlagern.

 

Eine Frage bleibt: Sind Sie trotzdem optimistisch für die Zukunft eines demokratiedienlichen Journalismus?

Wir üben einen besonders selbstverantwortlichen Beruf aus: Auf die Journalistinnen und Journalisten kommt es an. Und darauf, dass das Deutschland der wachsenden „Medienwüsten“ und der unguten Konzentration von Medienmacht endlich eine zielstrebige Journalismuspolitik verfolgt. Die öffentliche Hand soll weniger den Medienbetrieb unterstützen, der oft verrückt spielt, sondern den Journalismus.