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Medienwissenschaftler Benedikt Porzelt: „Satireformate wie „Die Anstalt“ ergänzen bestehende journalistische Berichterstattung“

Medienwissenschaftler Benedikt Porzelt: „Satireformate wie „Die Anstalt“ ergänzen bestehende journalistische Berichterstattung“ Benedikt Porzelt.

Mit einer ungewöhnlichen Fragestellung beschäftigt sich das Demokratie-Forum „Hambacher Schloss“ am Mittwoch: „Warum gelten Satiriker heute als die Journalisten mit Tiefgang und Haltung?“ will SWR-Chefreporter Thomas Leif, der die Veranstaltung moderiert, unter anderem von „Monitor“-Chef Georg Restle und „extra3“-Redaktionsleiter Andreas Lange wissen.

Berlin - Weitere Gäste der Diskussion sind die politische Kabarettistin Lisa Politt, Chefin im Hamburger Theater Polittbüro, der Freiburger Kabarettist Matthias Deutschmann sowie Bernd Gäbler, ehemaliger Leiter des Adolf-Grimme-Instituts.

 

Zu den Gästen von Thomas Leif gehört auch der Buchautor und Medienwissenschaftler Benedikt Porzelt, Fachgebiet Politik und Komik. Im Interview sagt er: „Satire bietet im Idealfall Denkanstöße, die weitere Diskussionen anregen können.“

 

Entwickeln sich die Premium-Satire-Sendungen in ZDF und ARD als Ersatz für die klassischen Magazine, auch weil Satire weniger angreifbar ist?

 

Benedikt Porzelt: Inwiefern Satireformate klassische Nachrichtenmagazine in Deutschland als Informationsquelle verdrängen ist wissenschaftlich nicht belegt. Es gibt zwar Studien aus den USA, dass dort Satire-Formate (wie die „Daily Show“) vor allem für jüngere Zuschauer als primäre Informationsquelle dienen, diese Beobachtung lässt sich jedoch nicht problemlos auf Deutschland übertragen. Es wäre tatsächlich problematisch, wenn sich Satireformate in Deutschland als Ersatz zu klassischen Nachrichtenmagazinen etablieren würde, da es sich bei diesen um Unterhaltungsangebote handelt, die richtigen Journalismus nicht ersetzen können.

 

Was sagt der Satire-Boom über den Zustand unserer Gesellschaft und die Bedürfnisse des Publikums?

 

Benedikt Porzelt: Die Nachfrage der Zuschauer nach Unterhaltungsangeboten ist vor allem seit den 1990er Jahren stark gestiegen. Satiresendungen bieten die Möglichkeit diese unterhaltungsorientierte Zielgruppe wieder mit politischen Inhalten zu erreichen und Interesse daran zu wecken. Hierbei kommt es aber stark auf die konkrete Gestaltung der Satire an. Wenn nur über persönliche Eigenschaften von Politiker gescherzt wird, kann auch ein zynischer Blick auf Politik gefördert werden. Zudem bietet Satire durch ihre zugespitzte Aufbereitung eine Komplexitätsreduktion, die den Zuschauern eine Orientierung erleichtern kann.

 

Profitieren die Satire-Formate vom Glaubwürdigkeitsverlust in oftmals seichte und politisch korrekte Medien? Oder versteht die Öffentlichkeit es heute besser über ernste Themen zu lachen?

 

Benedikt Porzelt: Die aktuelle Popularität der Satire lässt sich unter anderem durch dessen Auflösung von klassischen Genregrenzen, zum Beispiel durch Kombination von Kabarett- und Comedyelementen, erklären. So bietet etwa die „heute show“ sowohl einfach zu verstehende Scherze als auch kritische Kommentare zu gesellschaftlichen Themen und kann deshalb ein breites Publikum ansprechen. Zudem wird insgesamt stark mit neuen satirischen Spielformen experimentiert, vor allem im ZDF. So zeichnet sich „Die Anstalt“ vor allem durch ihre stärkere journalistische Herangehensweise aus, während das „Neo Magazin Royale“ vor allem mit der Kommunikationslogik der „Neuen Medien“ spielt. Die klare Positionierung von Satire kann zudem für Zuschauer als Ventil funktionieren, da bestehende Enttäuschung - gegenüber der Politik - verbal artikuliert wird. So hat die Satire durch den Schutz der Kunstfreiheit mehr Freiheiten, woraus teils sehr harsche Aussagen resultieren. In journalistischen Formaten ist dies nicht so einfach möglich. Vom Glaubwürdigkeitsverlust der Medien kann Satire profitieren, da sie auch kritisch auf die Arbeit der Medien eingeht. Sie kann dadurch gegebenenfalls als Gegenentwurf zum vermeintlichen „Mainstream“ erscheinen.

 

Bietet das Format „Satire“ im Gegensatz zu Nachrichtensendungen bessere Möglichkeiten komplexe politische Entwicklungen und kritischen „investigativen“ Journalismus zu vermitteln?

 

Benedikt Porzelt: Das hängt stark vom konkreten Format ab. Bei „Die Anstalt“ zeigt sich tatsächlich, dass Themen eingehender und facettenreicher besprochen werden als in anderen Satireformaten. Dies funktioniert vor allem dann gut, wenn die notwendige Balance zwischen Unterhaltung und Information gehalten werden kann. Hierdurch kann ein Thema eingehend besprochen werden ohne die Zuschauer zu langweilen. Das ist aber nicht die Regel in Satireformaten. Das Potenzial der Satire liegt eher darin, die bestehende journalistische Berichterstattung zu ergänzen, indem Aspekte in den Fokus gerückt werden, die in öffentlichen Diskussionen zuvor ausgeklammert wurden - dies zeigt zum Beispiel der „Varoufake“-Clip von Jan Böhmermann. Es zeigt sich zudem bei der „heute show“, dass dort auch immer wieder Ausschnitte aus Politikmagazinen präsentiert werden, um auf den ernsten Kern von Themen hinzuweisen. Durch ein solches Vorgehen kann im Idealfall die Reichweite von „investigativem“ Journalismus durch satirische Formate erhöht werden.

 

Gibt es eine Verbindung zwischen dem Satire-Boom und fehlender öffentlicher Reflektion, etwa zu den Ursachen und Folgen der Finanzkrise?

 

Benedikt Porzelt: Tatsächlich liegt eine Stärke der Satire auch im kritischen Hinterfragen der Medien. Je stärker somit Themen von journalistischer Seite nicht angemessen besprochen oder diskutiert werden, desto mehr Angriffsfläche bietet dies für satirische Kritik. Dies zeigt sich besonders deutlich in den USA. Dort bieten gerade aufgeheizte öffentliche Debatten und populistische Formate, wie von „Fox News“, den Satirikern regelmäßig idealen Stoff für ihre Sendungen. Sendungen, wie die „Daily Show“ werden dort deshalb stellenweise schon als „oppositional news“ charakterisiert.

 

Würde konservative Satire – etwa mit einem Gerhard Löwenthal – funktionieren?

 

Benedikt Porzelt: Konservative Satire wäre zumindest ein spannender Ansatz, da die Mehrheit der Satireformate eher als liberal und linksorientiert eingeschätzt werden kann, auch wenn es immer wieder auch satirische Seitenhiebe auf linke Inhalte gibt, so attackierte die „heute show“ besonders die Steuerpläne der Grünen im Wahljahr 2013. In den USA gibt es solche Angebote - Andrew Klavans „The Revolting Truth“. Es ist durchaus denkbar, dass solche Formate auch in Deutschland eine Zielgruppe finden würden. Gleichzeitig widerspricht das Prinzip des Konservatismus dem grundsätzlichen Wesen der Satire, die den politischen Status quo kritisch hinterfragen und herrschende Missstände abbauen möchte. Eine konservative Ausrichtung würde im Extremfall den Status der Mächtigen gegen Reformbemühungen verteidigen.

 

Welches Aufklärungspotential haben TV-Satiriker bei sensiblen Themen wie der zunehmenden Radikalisierung am rechten Rand im Zuge der Flüchtlingskrise? Verklärt dabei zu viel Humor den nüchternen Blick auf die Dinge?

 

Benedikt Porzelt: Satire kann gerade bei sensiblen Themen ein besonderes Aufklärungspotenzial entwickeln, da sie sich spielerisch gegen die herrschende Meinung wenden und vernachlässigte Themen in den öffentlichen Fokus rücken kann. So widmete sich etwa „Die Anstalt“ schon im November 2014 der Flüchtlingsproblematik und verzichtete dabei stellenweise auf eine humorvolle Darstellung. Sso endete die Sendung nicht mit einer Pointe, sondern dem Auftritt eines realen Flüchtlingschors. Damit bietet Satire im Idealfall Denkanstöße, die weitere Diskussionen anregen können. Dabei kommt es aber stark auf den tatsächlichen Ansatz der Formate an: wenn ein Thema nur kurz angerissen wird, um eine Pointe zu platzieren, bleibt ein wirklicher Erkenntnisgewinn aus. Ein wichtiger Aspekt besteht deshalb darin, dass man nicht von „der Satire“ reden kann, da sich die einzelnen Formate in ihrer konkreten Herangehensweise an gesellschaftliche und politische Themen doch stark unterscheiden. Zudem sollte der Einfluss von Satire auch nicht überbewertet werden. Dies zeigt sich nicht zuletzt auch im Erfolg der AfD, die zwar kontinuierlich von satirischer Seite angegriffen wurde, letztlich aber sogar erfolgreicher wurde. Dies kann zum einen daran liegen, dass die Parteianhänger sich gerne als Opfer der Medien - und damit auch der Fernsehsatire - stilisieren. Zum anderen stellt sich die Frage, inwiefern potenzielle Wähler der AfD für die satirische Kritik überhaupt empfänglich sind.

 

Newsroom.de-Service: Der Eintritt zum Demokratie-Forum Haibaches Schloss ist frei. Die Organisatoren bitten um Anmeldung per Email unter demokratieforum@hambacher-schloss.de. Auf der Seite www.swr.de/demokratieforum gibt es die Aufzeichnungen der vergangenen Demokratie-Foren. (B.Ü.)

 

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