Vermischtes
Newsroom – Alexander Graf

Jakob Augsteins Ärger auf „SZ“ und „Spiegel“

Jakob Augsteins Ärger auf „SZ“ und „Spiegel“ Jakob Augstein auf dem Cover des aktuellen „medium magazin“.

„Spiegel“-Erbe Jakob Augstein provoziert die Branche mit seinen Positionen zu Corona. Und der „Freitag“-Verleger schießt im Gespräch mit dem aktuellen „medium magazin“ auch gegen „Süddeutsche Zeitung“ und „Spiegel“. Was hinter seiner Medien-Kritik steckt.

Mannheim – Jakob Augstein selbst geht in die Gegenoffensive. Zwar könnten Wissenschaftsjournalisten komplizierte Sachverhalte verständlich erklären, ihre Arbeit bestünde aber nicht darin, Macht und Interessen zu hinterfragen. „Als das Impfdebakel sichtbar wurde, folgten die Kollegen ihrem Impuls und ,erklärten‘ auch diese Vorgänge“, schreibt er in seinem „Freitag“-Leitartikel „Unheilige Allianz“. „Über solche Expertenbegleitung freut sich jede Regierung.“ Und er setzt noch einen drauf: Ähnlich wie die US amerikanischen Embedded Journalists des Irakkriegs zögen deutsche Medien gerade Seite an Seite mit der Regierung in den Kampf gegen das Coronavirus – im Glauben, damit der Demokratie einen Dienst zu erweisen.

 

Das sitzt. Und klingt zugleich verdächtig nach den allseits bekannten Schwurbel-Erzählungen aus der Verschwörungsecke. Augstein führt deshalb einen Zeugen an, der solcher Verbindungen unverdächtiger nicht sein könnte: Claus Kleber, ZDF-Journalist und Moderator des „Heute-Journals“. Die personifizierte Seriosität. Tatsächlich hatte Kleber Ende Juni des vergangenen Jahres in einer Gesprächsrunde der Heraeus Bildungsstiftung Fehler eingeräumt: Inhaltlich seien viele Beiträge zu Beginn der Pandemie zwar richtig, die oft „appellative Haltung“ darin sei aber falsch gewesen. „Wir haben praktisch die Rolle eines Pressesprechers oder Ministers eingenommen, der seiner Bevölkerung erklärt, warum diese Maßnahmen jetzt sein müssen. Das ist einfach nicht unser Job.“

 

Doch seit Juni ist viel Zeit vergangen. Monate, in denen nicht nur Kleber, sondern viele weitere Kolleginnen und Kollegen Fehlentwicklungen in der Berichterstattung erkannt und abgestellt haben. Täglich kann man überall die unterschiedlichsten Standpunkte, Perspektiven und Recherchen lesen. Ist Augsteins Kritik also mittlerweile nicht etwas abgehangen? „Sie missverstehen mich“, sagt er im Gespräch mit dem „medium magazin“. Natürlich könne man all das in den meisten Medien lesen – etwas anderes würde er doch niemals behaupten. „Aber es geht um die generelle Blattlinie. Also das, was letztlich im Leitartikel oder auf der Webseite ganz oben steht.“ Und da hätten sich die eigentlich linksliberalen Medien wie „Süddeutsche Zeitung“ oder „Spiegel“ auf einen Kurs geeinigt, der nicht mehr die Grundrechte, sondern ausschließlich die Pandemiebekämpfung als höchstes Gut ansehe. „Wenn so eine Haltung innerhalb einer Redaktion einmal feststeht, dann wird es immer schlimmer“, sagt Augstein. Wer das nicht sehe, sei doch naiv.

 

Wer genau hinschaut, findet hinter diesen Sätzen den eigentlichen Kern von Augsteins Ärger auf die Medien. Es geht nicht darum, dass diese nicht mehr so berichten, wie er es als „kritisch“ verstehen würde. Es geht darum, dass Augstein diese Kritik nicht mehr in jenen Medien findet, die er jahrzehntelang als Teil seiner eigenen politischen Identität betrachtet hat. Statt bei der Lektüre von „Spiegel“ und „SZ“ nickt der 53-Jährige jetzt zustimmend bei Artikeln der konservativen „Welt“. Augstein scheint das regelrecht persönlich zu nehmen.

 

Bestreiten mag er diese These nicht. Die Frage ist nur: Haben die Blätter des linksliberalen Spektrums ihn und ihre eigene Identität verraten? Oder ist Augstein einfach dahin gerückt, wo ihn seine Kritiker sowieso schon längst hingesteckt haben: in beste Gesellschaft von „Welt“-Chefredakteur Ulf Poschardt und „Focus“-Autor Jan Fleischhauer, zwei konservativen Reizfiguren der linksliberalen Medienblase?

 

Die Antwort darauf hängt wohl vom persönlichen Blickwinkel ab. Bleibt somit nur eine Frage zum Schluss: Hat er in den vergangenen Monaten der Kritik nicht auch einmal an sich selbst und seinem journalistischen Kompass gezweifelt? „Da würde ich in diesem Fall ganz provokant antworten“, sagt Augstein: „Nein“.

 

Warum Jakob Augstein, Verleger und Mitglied der Chefredaktion der Wochenzeitung „Der Freitag“, seinen Twitter-Account (rund 265.000 Follower) gelöscht hat. Warum er sich selbst einen Schreibtischjournalisten nennt und warum der „Spiegel“-Erbe mit seinen Positionen zu Corona die Branche provoziert. Kritiker sehen in Augsteins Zweifeln nur eitle Pose. Haben sie Recht?

 

Die komplette Story von Alexander Graf zu Jakob Augstein „Im Zweifel dagegen“ ist im aktuellen „medium magazin“ erschienen. 

 

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Das „medium magazin“ erscheint wie newsroom.de im Medienfachverlag Oberauer. Chefredakteur ist Alexander Graf.