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Die KI-Pläne des BR-Chefredakteurs: Fakencheck durch Avatar

Die KI-Pläne des BR-Chefredakteurs: Fakencheck durch Avatar Christian Nitsche (Foto: Markus Konvalin)

Chefredakteur Christian Nitsche krempelt den Bayerischen Rundfunk um. Statt TV, Online und Radio gibt es künftig nur noch die Bereiche „Viewing“ und „Listening“. Was die Neuaufstellung bringen soll, wie KI den BR verändert und was das Ganze für die Mitarbeiter bedeutet.

München –  Aus dem aktuellen „kress pro“:

Trimedialität war gestern. Heute heißt es „Viewing + Listening“. Das klingt nach altem Wein in neuen Schläuchen. Was ist daran wirklich neu?

Christian Nitsche: Bisher waren TV, Online und Radio für sich gewachsene Bereiche, die mit den Standorten Funkhaus und Freimann in München auch 11 Kilometer voneinander getrennt waren. Nun wollen wir nicht nur in Freimann zusammenziehen, sondern größere Synergien auch dadurch erschließen, dass wir TV und Online als einen einzigen Bereich definieren. Diesen nennen wir „Viewing“. Er steht für alles, was optisch konsumiert wird. Der zweite Bereich „Listening“ für alles, was rein akustisch genutzt wird, also auch etwa Podcasts.

 

Sie sprachen in einer Mitteilung von einem neuen Mindset. Was hat es damit auf sich?

Wir machen mit der Neuaufstellung bei BR24 nicht nur einen organisatorischen, sondern auch einen mentalen Sprung. Wir überwinden historisch gewachsene Muster. Das Umdenken beginnt beim Wording. Wir haben einen Weg, um interne Prozesse so zu gestalten, dass wir nahtlos plattformübergreifend arbeiten können. Als ein Team, das noch viel stärker integriert und besser auf die Zukunft vorbereitet ist.

 

Dieser Change-Prozess soll den BR auch für das KI-Zeitalter wappnen. Gewähren Sie uns einen Blick in die Glaskugel. Wie werden Menschen künftig Inhalte suchen und finden?

In der neuen Medienwelt entstehen viele Formate beim Nutzenden, nicht mehr in der Redaktion. Auf die Frage: „Zeig mir das Wichtigste aus meiner Region, gern als Video. Ich habe allerdings nur 5 Minuten“, baut die KI den Inhalt individuell zusammen. Ich bin mir sicher, dass uns die KI auch ein eigenes Medienportfolio zusammenstellt, zugeschnitten etwa auf meine Familie. Für den gemeinsamen Familienabend könnten das eine Naturdoku, die wichtigsten Nachrichten, Sport-Highlights und die lustigsten Reels des Tages sein. Und zwar genau in der Länge, die ich vorgebe. Alles, wie es beliebt.

 

Welche Rolle spielt der Bereich KI in Ihrem neuen Konzept?

Wir gehen Schritt für Schritt voran und nutzen KI bereits redaktionell. Unser „Aiditor“ hilft, eine von Menschen geschriebene Basismeldung in unterschiedliche Längen zu wandeln, auch passend für diverse Zielgruppen. Daneben setzen wir KI auch für die Verifikation ein. So decken wir Deep Fakes auf.

 

Arbeiten Sie künftig mit einem eigenen KI-Contentpool, den Sie füttern und aus dem heraus Sie Inhalte entwickeln?

Das ist eine spannende Idee, die wir diskutieren. Unser Content ist ein Goldschatz, den wir auch per KI nutzen werden. Es ist zudem die Frage, ob wir auch mit anderen Qualitätsmedien einen Trusted Content Pool gründen könnten. Wir hatten dazu kürzlich ein Sondierungsgespräch mit einem US-Leitmedium. Wir generieren jede Stunde neue Inhalte, an denen auch KI-Firmen wie Open AI höchstes Interesse haben, weil sie damit ihre Modelle trainieren können. Allerdings ohne dass wir dafür Lizenzgebühren bekommen. Eine Allianz der Qualitätsmedien hätte eine große Verhandlungsmacht.

 

Werden künftig auch neue Tools genutzt?

Die Schlüsselfrage im KI-Zeitalter ist: Können wir dem KI-generierten Content trauen? Unsere Redaktionen lesen KI-generierte Meldungen gegen. Aber eine zweite Sicherung wäre gut! Könnte eine KI automatisiert prüfen, ob eine andere KI auf korrekte Weise Content erstellt hat? An einer solchen Softwarelösung arbeiten wir. Denkbar ist auch der Einsatz eines Avatars, der in Talkrunden einen unmittelbaren Faktencheck macht.

 

Bei einer Talkrunde mit Donald Trump würde der Avatar wahrscheinlich heißlaufen.

(lacht) In hiesigen Talkrunden hätte er sicher auch zu tun.

 

Welche Strukturen müssen für die neue Programmstrategie intern geschaffen werden?

Zentrales Element ist der gemeinsame Newsroom, den wir im Herbst in Freimann beziehen. Alle aktuellen Redaktionen arbeiten in einem Raum. Ebenfalls nicht ganz unwichtig: Im Newsroom werden sich die Gewichte verschieben. Hier sitzen die CvDs, sie haben künftig mehr Einfluss. Die Redaktionsleiter werden Entscheidungen an den Newsroom abgeben. Eine weitere maßgebliche Änderung ist, dass es nur noch einen gemeinsamen Dienstplan geben wird und die Kompetenzen der Mitarbeitenden übergreifend genutzt werden. Aktuell läuft das noch getrennt.

 

Wie organisieren sich die Redaktionen künftig?

Wir haben mit Viewing und Listening ein neues Mindset. Jetzt geht es darum, die Synergien tatsächlich sukzessive zu heben. Zum Beispiel beim Thema Liveberichterstattung, die nicht mehr getrennt nach TV und Online geplant wird. Wir achten darauf, dass es nicht mehr Abstimmungsprozesse werden. Wir möchten keinen Planungs-Wasserkopf. Iterativ werden wir schlankere Strukturen entwickeln und so mehr Ressourcen für Reporter freisetzen.

 

Was bedeutet die neue Struktur für die Mitarbeitenden? Soll ein TV-Redakteur oder eine Redakteurin künftig auch Content für Tiktok erstellen?

Die Plattformspezialisierung geben wir nicht auf. Denn es macht schon einen Unterschied, ob man einen TV-Beitrag erstellt oder einen für Tiktok. Ich setze aber auch auf Weiterbildung, bis hin zur Moderation. Wir werden künftig Moderatorinnen und Moderatoren auch danach auswählen, ob sie für beide Kanäle passen. In einer Breaking-News-Situation entsteht eine Sondersendung, die auf das Online-Publikum zugeschnitten ist. Das Format wird aber so gestaltet, dass es auch im TV passt. Zudem wird die Sendung auf den Onlineplattformen künftig noch besser verwertet. Ein Team kann das besser als zwei getrennte Teams.

 

Das könnte kompliziert werden, denn im Digitalen verwendet BR24 das „Du“ und im TV das „Sie“. Vermutlich werden Ihre Stammzuseher fremdeln, wenn sie plötzlich geduzt werden.

Ich bin dafür, akzeptierte Umgangsformen aus Digital im TV zu übernehmen. Störgefühle sollten sich mit der Zeit legen. Ich bin selbst aus der Generation, die mit MTV aufgewachsen ist. Die ist flexibel.

 

Apropos fremdeln: Nicht alle Mitarbeitenden werden die Neuerungen freudig begrüßen – wie kriegen Sie die Leute dazu, mitzumachen?

Wir erleben eine Zeit radikaler Umbrüche. Open AI bringt alle paar Monate ein Update raus und inzwischen werden Videos durch KI generiert. Um auf allen relevanten Verbreitungswegen präsent zu sein, werden wir neue Pfade einschlagen müssen. Und Sorgen, dass ein Bereich den anderen schlucken wird, halte ich entgegen: Wir sind EIN Team.

 

Sind Synergieeffekte unterdessen bereits sichtbar?

Aus unseren Ideen generieren wir Kraft für Neues. Wir können schon jetzt, wie beschrieben, beim Kürzen von Texten die redaktionellen Kosten deutlich absenken. Wir schaffen eine KI-Nachrichtenwerkstatt, ziehen dort alle zusammen, die bisher Nachrichten getrennt voneinander geschrieben haben. Auch im Bereich Community-Management wird unser Personal über KI-Scans entlastet.

 

Die bayerischen Zeitungsverlage wollen den BR verklagen. Es geht um die Presseähnlichkeit von Online-Angeboten. Beispielhaft gesprochen: Die Verleger wollen am Marktplatz Bier verkaufen, doch der BR schenkt Freibier aus. Wie zahlt die neue Struktur darauf ein?

Der Vergleich hinkt. Wir bieten im Schwerpunkt Viewing und Listening, also Video und Audio. Wenn wir Texte veröffentlichen, haben sie einen Sendungsbezug. Wir halten uns an das Recht. Wir machen dem Publikum zudem viele Angebote, die am Markt nicht refinanzierbar, für den demokratischen Diskurs aber immens wichtig sind. Natürlich wissen wir um die Not vieler Verlage. Sie stehen im KI-Zeitalter vor den gleichen Herausforderungen. Könnte es gemeinsame Initiativen in Richtung Politik geben, um die Marktregeln im KI-Zeitalter zu schärfen? Eine gemeinsame Agenda hätte großes Gewicht.

 

Interview: Lisa Priller-Gebhardt

 

Wie der BR sein Personal in KI weiterbildet

 

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