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Uwe Zimmer schrieb 75 Trauerreden

Uwe Zimmer schrieb 75 Trauerreden Uwe Zimmer - den Porsche gegen einen BMW X3 getauscht. Foto: Pia Simon

Die große Frage, die sich mir im Ruhestand stellte, lautete: Was mache ich nun mit dem schreiberischen Talent? Der ehemalige Chefredakteur der „Neuen Westfälischen Zeitung" hat für sich eine Antwort gefunden. Er schrieb Trauerreden. Zumindest eine Zeit lang.

Im Leben hatte ich zwei große Wünsche: Ein schickes Auto, mit dem ich zur Arbeit fahren kann, und einen Hund, wenn ich einmal nicht mehr arbeite. Ich fuhr zehn Jahre lang einen Porsche und habe heute einen Boxer. In meinem Leben haben sich die Dinge ganz wunderbar gefügt. Eigentlich habe ich nämlich auf Lehramt Philosophie und Germanistik studiert. In meinen Ferien arbeitete ich aber als Volontär bei einer Zeitung und fand das viel interessanter! Also zog ich nach München und telefonierte sämtliche Redaktionen durch auf der Suche nach einer Festanstellung.


Die „Süddeutsche Zeitung“ hatte nur ein müdes Lächeln für mich übrig. Aber gerade zu der Zeit, es war Anfang der 60er Jahre, machte ausgerechnet die „Bild“-Zeitung ein Büro in München auf. Der Leiter der Redaktion konnte gar nicht glauben, dass sich tatsächlich einer meldete, der sogar studiert hatte! Ich verdiente bei der „Bild“ so viel Geld, dass ich später davon promovieren konnte. Einige Jahre später kam es in München zur studentischen Anti-Springer-Kampagne und auch mir fiel es immer schwerer, mich mit den Werten des Axel-Springer-Verlags zu identifizieren. Aber meine Zeit bei der „Bild“ hatte mich viel darüber gelehrt, was guter Journalismus ist – und was er nicht ist!


Ich arbeitete in den Jahren danach für den „Tagesspiegel“ in Berlin, für den „Spiegel“ und leitete für den „Stern“ das Büro in Bonn und später in Washington. Mein redaktionsinternes Hobby beim „Stern“ war, an den Titeln und Überschriften mitzuarbeiten. Das machte ich so gerne, dass ich von den Kollegen zum Spaß einen „Kleintext-Oscar“ verliehen bekam! 1987 übernahm ich meine erste Chefredakteursstelle bei der Münchner „Abendzeitung“.


Nach 13 Jahren war ich mit der Verlegerfamilie nicht mehr d’accord, so trat ich im blühenden Alter von 57 Jahren 2001 die Stelle als Chefredakteur der „Neuen Westfälischen Zeitung“ an. Als ich eingestellt wurde, erklärte ich, dass ich diese Arbeit nicht länger als bis zum 1. September 2009 machen würde. „Dann ist Schluss“, sagte ich. „Dann bin ich 65 und werde in den Ruhestand gehen.“


Und so ist es dann auch gekommen. Eine Zeit lang habe ich noch Seminare an Journalistenschulen gegeben und versucht, den Nachwuchs zu trainieren – mal mehr, mal weniger erfolgreich. Für sie ist der Journalismus heute wesentlich komplizierter, als er es zu meiner Zeit war. Onlinejournalismus wird regelrecht zu Boulevard, weil es fast nur um Klicks geht und nicht um Inhalte.


Journalismus muss doch aufklären, informieren, den Menschen helfen, die Politik zu verstehen, Fragen stellen! Aber erstens zieht ein Bikini-Vergleich mehr als Corona-Berichterstattung und zweitens begegnen wir online viel mehr Fake News und Beleidigungen in den Kommentarspalten. Damit umgehen, das ist eine echte Herausforderung für die neue Generation. Manchmal, wenn ich den „Stern“ oder die „Neue Westfälische“ lese, hätte ich Lust, anzurufen und den Jüngeren zu sagen, was ich anders oder besser machen würde. Aber dann tue ich es doch nicht. Sie sollen Fehler machen dürfen und aus ihnen lernen.


Die große Frage, die sich mir im Ruhestand stellte, lautete: Was mache ich nun mit dem schreiberischen Talent? Die Antwort offerierte sich ausgerechnet, als einer meiner besten Freunde verstarb. Die Rede bei seiner Beerdigung war so unangemessen, dass ich beschloss, diese verantwortungsvolle Aufgabe zu übernehmen. Im Prinzip ist dies mit dem Journalismus vergleichbar: Ich musste die Biografien recherchieren und in Worte fassen. Und es handelt sich um eine öffentliche Rede, in der ich in einer Art bürgerlichem Heldenlied den toten Menschen würdige.


Meine erste Trauerrede hielt ich in Dachau. Es war die Beerdigung eines Unternehmers, der nicht hatte sterben müssen, sondern der es wollte. Fast 200 Menschen waren bei der Trauerfeier anwesend, das war eindrucksvoll. Ich machte das etwa drei Jahre lang, insgesamt hielt ich etwa 75 Trauerreden. Eigentlich wollte ich erst kein Geld für meine Arbeit, aber das ging natürlich nicht – das wäre Price-Dumping gewesen und hätte jenen geschadet, die von dem Beruf leben. Mein Anspruch an das Leben war immer, dass es interessant ist und nicht einfach. An der „Neuen Westfälischen Zeitung“ hing mein Herz. Das war so eine schöne Zeit. Ich hatte das Gefühl, niemandem mehr irgendetwas beweisen zu müssen.


Inzwischen habe ich den Porsche gegen einen BMW X3 getauscht. Darin hat nämlich der Hundekäfig besser Platz!


Tipp: Dieser Beitrag ist in der Jahresschuss-Ausgabe von "medium magazin" erschienen. Es geht darin ums "alt" werden im Journalismus. Wie geht es denen, die keine Leitartikel mehr schreiben? Oder an den nachfolgenden Generationen verzweifeln? Neben Uwe Zimmer beschreibt Ex-"Bunte"- Chefredakteurin Patricia Riekel, wie sie mit ihrem neuen Lebensabschnitt umgeht. Ebenso Roger Schwinski und die Wiener Journalistin Anneliese Rohrer. Mehr hier.


Protokolliert von Noemi Harnickell