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"Spiegel"-Korrespondent Christian Neef warnt: "Kriegsreporter sollten Militärs meiden"

"Spiegel"-Korrespondent Christian Neef warnt: "Kriegsreporter sollten Militärs meiden" Christian Neef. Foto: Screenshot

Deutliche Worte findet "Spiegel"-Mann Christian Neef auf die Frage, was sich bei der Berichterstattung aus Krisenregionen verändern soll: "Man kann aus Kriegsgebieten keine wissenschaftlichen Analysen senden. Aber differenzieren kann und muss man schon", so Neef, der am Montagabend an einer hochkarätig besetzten Diskussion in Berlin teilnimmt.

"Kriegsreporter, Krisenjournalismus und der deutsche Blick auf das Ausland – Wer verfolgt welche Agenda?" heißt die Debatte im Rahmen des Mainzer Medien Disputs am Montag, 16. November. Die Diskussion beginnt um 19 Uhr in der Landesvertretung Rheinland-Pfalz beim Bund in Berlin. Den thematischen Aufschlag liefert Kai Gniffke, Chefredakteur von ARD Aktuell (Tagesschau, Tagesthemen). Gemeinsam mit SWR-Chefreporter Prof. Dr. Thomas Leif, der die Diskussion moderiert, nehmen auf dem Podium Platz Sonia Mikich, Chefredakteurin Fernsehen beim WDR, der Autor, Nahost-Experte und Präsident der Deutsch-Arabischen Gesellschaft, Michael Lüders, Christian Neef, "Spiegel"-Korrespondent in Moskau, der freie Auslands-Journalist Ashwin Raman, der in diesem Jahr mit dem Otto-Brenner-Preis ausgezeichnet wird, sowie Christoph Reuter, Nahost-Korrespondent vom "Spiegel" mit Sitz in Beirut. (B.Ü.)

 

Zur Person: Der langjährige Spiegel-Journalist Christian Neef (Moskau-Korrespondent, stellvertretender Leiter des Spiegel-Auslands-Ressorts, Reporter) befasst sich seit mehr als drei Jahrzehnten mit den Berichtsgebieten Russland/Sowjetunion, Kaukasus, Zentralasien und Osteuropa.

 

Was treibt Sie an, wenn Sie aus gefährlichen Kriegsregionen berichten?

 

Christian Neef: Jedenfalls nicht das Kriegsabenteuer! Ich hatte in Kriegssituationen (in den postsowjetischen Bürgerkriegen, dann in Tschetschenien, Afghanistan und später in der Ukraine) stets das Gefühl, es wird immer nur einseitig (also von einer Seite) berichtet, und so ergibt sich kein reales Bild vom Krieg. Deswegen bin ich in Tschetschenien mal bei der russischen Armee gewesen, mal zu Fuß von Georgien aus über die Grenze zu den tschetschenischen Rebellen gegangen. Das Gleiche in der Ostukraine, wo ich meist sowohl bei den Ukrainern als auch bei den Separatisten bin. Und auch in Afghanistan bin ich nie zur Bundeswehr gegangen, sondern immer allein durchs Land gefahren – weil das Bild der Deutschen meist ein falsches war. So bin ich oft zu anderen Schlussfolgerungen gekommen.

 

Gibt es eine spezifische "Methode" in Ihrer Art zu arbeiten?

 

Christian Neef: Für mich gibt es ein paar Grundsätze: Nie länger bei den Militärs embedded zu sein und schon gar nicht, gemeinsam mit der Armee vorzurücken. Möglichst mehr bei den Underdogs zu sein, auf die sich das Augenmerk unserer Medien weniger richtet - in Tschetschenien waren das die Rebellen, in der Ukraine sind es die Separatisten. Ich habe es auch immer abgelehnt, Helm oder Schussweste zu tragen oder im gepanzerten Fahrzeug zu fahren. Das verfälscht von vornherein die Situation für ein offenes Gespräch mit den Betroffenen.

 

Wie wichtig sind Sprach-Kenntnisse für einen Korrespondenten in Krisengebieten?

 

Christian Neef: Die halte ich für unabdingbar. Ohne die Sprache zu sprechen, wirst du viele Geheimnisse eines Krieges einfach nicht erfahren. Und schon gar nicht die betroffenen Menschen öffnen. In Afghanistan habe ich das schmerzlich gespürt, weil mein paschtunischer Dolmetscher (obwohl ich den seit 15 Jahren kenne) in Gesprächen meine Fragen immer wieder abmilderte oder sich für meine Fragen bei seinen Landsleuten entschuldigte.

 

Können Stringer oder Fixer Sprachdefizite ausgleichen?

 

Christian Neef: Nein. Ich benutze Stringer so gut wie nicht, jedenfalls nicht vor Ort. Sie beeinflussen mit ihrer Anwesenheit die Situation und verändern sie zum Schlechteren. Bei aller Hilfe, die sie ansonsten bieten können.

 

Kann man den "Job" ohne Stringer überhaupt bewältigen?

 

Christian Neef: Man kann. Bei organisatorischen Fragen natürlich sind sie allein wegen ihrer Orts- und Behördenkenntnis wichtig, in Afghanistan oft sogar unabdingbar. Allein um gegenwärtig die passenden Ausweise aller Kriegsparteien in der Ostukraine zu bekommen und die Demarkationslinie überqueren zu können, braucht es Tage. Diese Zeit hat man oft nicht.

 

Ganz gleich, in welchen Krisen- und Kriegsgebieten sie recherchieren und drehen, Sie sind meist gezwungen mit dem Militär zusammenarbeiten. Wie sehen hier ihre Erfahrungen aus?

 

Christian Neef: Die Militärs möglichst meiden! Ihr Denken ist oft meilenweit von der Wirklichkeit entfernt. Wichtig ist es, hinter der Frontlinie gesprächsbereite Militärs zu finden, um von ihnen Hintergrund zu erfahren. Für Fotografen oder Fernsehleute ist das natürlich kein Rezept, sie brauchen die Bilder von der Kampflinie. Für Print aber schon.

 

Wie wichtig sind Mitarbeiter der Geheimdienste bei der Informationsbeschaffung in Kriegs- und Krisengebieten?

 

Christian Neef: Geheimdiensten zu vertrauen, hat noch nie etwas gebracht. Das betrifft den BND ebenso wie den afghanischen, ukrainischen oder russischen Geheimdienst. Sie wollen immer eine Botschaft transportieren, Aussteiger ausgenommen.

 

Haben Sie grundlegende Tipps, wie man solche Informationen verwertet und wie man verhindert, instrumentalisiert zu werden?

 

Christian Neef: Man kann sie nur mit dem vernünftigen Menschenverstand checken. Aber man sollte nie dem angeblichen Zauber solcher "Exklusivinformationen" unterliegen.

 

Oft kooperieren Reporter in Krisengebieten ja mit Hilfsorganisationen vor Ort. Was ist der Vorteil – worauf muss man achten?

 

Christian Neef: Die Hilfsorganisationen sehe ich ebenso kritisch. Sie leisten eine wichtige Arbeit, verfügen aber auch nur über einen begrenzten Blick. Geholfen haben mir mitunter ihre reichen Kontakte vor Ort, vor allem in Afghanistan. Meist kommt man in Krisengebieten nicht ausreichend vorbereitet an, hat vorab auch nichts organisieren können. Da hangelt man sich mit Hilfe solcher Kontakte von Ort zu Ort.

 

Wenn Sie junge Korrespondenten oder Auslandsreporter für den Einsatz in Krisengebieten einstellen müssten – worauf würden sie achten?

 

Christian Neef: Och, direkt für Krisengebiete würde ich keinen einstellen, er müsste sich länger schon selbst in diese Richtung entwickelt haben. "Ideal" wäre für mich: dass er sich nicht ausschließlich mit Krisen oder Kriegen befasst – diese Leute werden oft blind. Dass er die Sprache und abstrahieren kann. Vor allem aber, dass er besonnen ist.

 

Wie reibungslos funktioniert die Kooperation zwischen den Korrespondenten vor Ort und den Redaktionen am Stammsitz der Redaktionen?

 

Christian Neef: Schlechter als früher. Weil der Zeitdruck größer geworden ist, die Sachkenntnis am Stammsitz der Redaktionen aber geringer. Sie haben dort oft Erwartungen, die mit der Wirklichkeit vor Ort nicht übereinstimmen. Aber der Druck, die Erwartungen zu bedienen, wird größer.

 

Welche praktischen Verbesserungsvorschläge haben Sie, um insgesamt die Arbeit der Reporter vor Ort in den Krisen- und Kriegsgebieten zu erleichtern?

 

Christian Neef: Sie müssten mehr Zeit bis zum Schuss bekommen - also tiefer recherchieren können. Und es müssten Leute sein, die sich schon länger mit der betreffenden Region befasst haben!

 

Viele Korrespondenten rücken ja nicht an das (Kriegs)-Geschehen heran, werden sogar aufgefordert sicheren Abstand zu halten. Wie lässt sich dieser Konflikt konstruktiv lösen?

 

Christian Neef: Heranrücken muss man schon, sonst bekommt man keine eigenen Eindrücke. Aber man muss sich auch schnell wieder lösen können. Ein Konflikt wird es dann, wenn der Druck von zu Hause zu groß wird: Ich war 2001, als die Amis in Tora Bora Bin Laden bombardierten, gerade von dort nach Kabul zurückgekehrt – über die damals als höchst gefährlich geltende Strecke Jalalabad-Kabul, für die man damals Mut und etwa 15 Stunden Zeit brauchte. Kaum war ich im Hotel, rief man mich an und verlangte, dass ich sofort zurückkehren müsste – dort sei jetzt die Hölle los. Ich weigerte mich – bis der Hinweis kam, etwas anderes von mir würden sie diese Woche sowieso nicht drucken.

 

Was muss sich aus Ihrer Sicht im Krisen- und Kriegsjournalismus ändern?

 

Christian Neef: Die Redaktionen brauchen mehr Manpower, damit die Teams draußen mehr Zeit zum Recherchieren haben. Es zeigt sich jetzt aber das Gegenteil, weil immer mehr gespart wird. Und zweitens: Man kann aus Kriegsgebieten keine wissenschaftlichen Analysen senden. Aber differenzieren kann und muss man schon – denn der beliebteste Hinweis in den Heimatredaktionen lautet: „Mach es nicht so kompliziert!“ Und dann reduzieren sich Kriegskonflikte auf angebliche Kämpfe zwischen Gut und Böse, zwischen Schwarz und Weiß, zwischen Kommunisten und Islamisten oder Islamisten und oppositionelle Rebellen.

 

Welches Profil zeichnet einen guten Auslandskorrespondenten aus?

 

Christian Neef: Wissen, Sprache, Besonnenheit, Übersicht. Und wirkliche Neugier.

 

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