Journalismus
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Christian Jakubetz über Lokaljournalismus: Die Reise zum Mittelpunkt des Bebens

Christian Jakubetz über Lokaljournalismus: Die Reise zum Mittelpunkt des Bebens Christian Jakubetz

Vor ein paar Jahren hatte ich eine Idee, die ich erst witzig fand – und die danach in kürzester Zeit grandios gescheitert ist. Umso mehr amüsiert es mich, dass eine nur leichte Abwandlung dieser Idee gerade als das wirklich heiße Ding im Journalismus gefeiert wird. Von Christian Jakubetz.

München - Der Gedanke war der folgende: Man geht raus, schreibt Geschichten aus der Lebenswirklichkeit der Menschen, immer unter der Fragestellung: Wie geht’s uns eigentlich in Deutschland gerade so? Das alles zum einen multimedial aufbereitet und zum anderen an und aus Orten erzählt, die sonst nicht so sehr im Fokus der medialen Aufmerksamkeit stehen.

 

Gemacht hätte ich das gerne gemeinsam mit vielen Regionalzeitungen zusammen; eine Art unabhängiges Redaktionsnetzwerk, das immer wieder Bestandaufnahmen aus dem stinknormalen Deutschland liefert. Ohne jetzt schlaumeiern zu wollen: Ich hätte es gerne gehabt, dass man solche Geschichten liest und dann eher ein Verständnis für Phänomene wie die AfD bekommt.

 

Aber wie das so ist: Es gab de facto eine einzige Zeitung, die an diesem Projekt sehr interessiert gewesen wäre, ein paar andere zeigten eher lauwarmes Interesse, bei vielen kam ich nicht über das Sekretariat der Chefredaktion hinaus. Und eine meistens als „Journalistenlegende“ titulierte Journalistenlegende erklärte mir in kurzen Ideen, warum die Idee Bullshit sei: Ganz stinknormale Alltagsgeschichten aus Donauwörth oder Delmenhorst, geschrieben von den Leuten vor Ort, wer soll so etwas lesen wollen?

 

Inzwischen gibt es die „taz“ und „Zeit Online“, die entdeckt haben, wie interessant der gute alte Lokaljournalismus sein kann. Und hey, man könnte die ganz normale Welt entdecken und daraus eine Menge ableiten. Weil zwar alle Welt inzwischen unbedingt in Großstädten leben will, dabei eines aber übersieht: Mindestens die Hälfte der Deutschen tut das nicht.

 

Nun leben Journalisten, vor allem die bei den wirklich wichtigen Medien, meistens in Großstädten und halten deshalb Kreuzberg, die Hafencity oder Schwabing für den Kosmos, in dem sich alles abzuspielen hat. Und umgekehrt halten sie Klein- und Mittelstädte gerne mal für eine Art Reservat, wo man ab und an mal hinfährt, frische Luft schnappt und ansonsten die Eingeborenen bestaunt. Der hippe Großstadtjournalist weiß: Spätestens dann, wenn ein Trend hier ankommt, ist er tot.

 

Deswegen fahren sie dann nach so Tagen wie dem letzten Sonntag gerne in Orte wie das sächsische Wilsdruff oder das niederbayerische Deggendorf und sind dort für ungefähr einen halben Tag dem AfD-Wähler auf der Spur. Allerdings wird vermutlich spätestens übermorgen kein Mensch mehr nach Wilsdruff oder Deggendorf fahren. Und der Lokaljournalismus ist ein rechter Schmarrn gegen die Berliner Politik oder wenigstens das Landesparlament.

 

Die deutschen „Flyover States“

 

Vermutlich haben deswegen so viele gejubelt, als „Zeit Online“ oder die „taz“ gemerkt haben, dass man da draußen ganz schön spannende Geschichten finden kann. An und an redet ein Zeit Online-Chefredakteur sogar mal mit Menschen aus einem ganz anderen Milieu und die Branche findet es großartig: Chefredakteur trifft Leser, ist das nicht irre?

 

Natürlich sind wir nicht in den USA, wo die durchaus großartige New York Times bis heute immer noch nicht so richtig verstanden hat, warum Trump Präsident ist. Dort sprechen sie gerne von „Flyover States“, wenn sie die Gegenden meinen, in die ein New Yorker Journalist keinen Fuß setzt und die den Donald zum Präsidenten gemacht haben. Der Vergleich lohnt sich dennoch, zumindest im Kleinen: Man betritt diese Provinz eher unwillig und hat auch kein so richtiges Verständnis für merkwürdig anmutende Wahlergebnisse. Spätestens, wenn man ihnen dort dann „Lügenpresse“ entgegen brüllt, zieht man sich wieder zurück, leicht pikiert. Aber was, wenn sich inzwischen eine ganze Menge nicht nur von der Politik, sondern auch von uns Journalisten abgehängt und etwas schofelig behandelt vorkommt? Wenn man also inzwischen so gerne davon spricht, dass diese Wahl ein Erdbeben war, dann wäre guter und konstanter Lokaljournalismus eine Reise zum Mittelpunkt des Bebens…

 

Übrigens, die Domain „deutschland25.de“ gehört immer noch. Nur für den Fall, dass doch jemand mal Interesse hat an einem solchen Netzwerk, das in dieses Deutschland rein hört – und das nicht nur nach der nächsten Protestwahl . . .


Christian Jakubetz