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Genug vom Führungsjob: Wenn sich junge Medienprofis ins Privatleben zurückziehen

Genug vom Führungsjob: Wenn sich junge Medienprofis ins Privatleben zurückziehen Attila Albert

Die häufigsten Krankschreibungen, lieber mehr Zeit für die Familie, Freunde und Hobbys: Für viele jüngere Medienprofis ist die Arbeit nachrangig geworden. Das hat unterschiedlichste Gründe und erfordert, individuelle Bedürfnisse stärker zu beachten, meint Attila Albert.

Berlin –  Der Redaktionsleiter eines Fachmagazins wusste, dass sein Titel in Schwierigkeiten war. Er müsste in Bezug auf Erlösmodell, Zielgruppe und Heftkonzept neu ausgerichtet werden, um zu überleben. Stattdessen teilte der Journalist dem Herausgeber und Team jedoch mit, dass er sich nun ganz seiner Familie widmen und anderthalb Jahre in den Vaterschaftsurlaub gehen wolle. Man war verblüfft, gratulierte zum „mutigen Entschluss”, fühlte sich aber insgeheim im Stich gelassen. Die junge Führungskraft, die die Veränderung für alle hätte gestalten und durchsetzen sollte, verabschiedete sich lieber ins Privatleben.

 

Seit einigen Jahren höre ich derartige Vorkommnisse aus den Unternehmen: Medienprofis zwischen Mitte 20 und Ende 30, oft früh in leitende Funktionen befördert, kommen aus privaten Gründen nicht mehr zur Arbeit. Häufig werden diffuse psychische Beschwerden vorgebracht, bei jeweils nur tageweiser Abwesenheit auch ohne Krankenschein („fühle mich nicht gut”). Aber Vorgesetzte hören selbst Begründungen wie: „Mein Kind hat Stress in der Schule, jetzt bin ich auch ganz fertig”, „Unser Hund hat eine OP, da wollen wir ihn nicht allein lassen” oder „Ich brauche spontan frei, wir wollen das Wetter zum Wandern nutzen”.

 

Der Fehlzeitenreport 2022 der AOK (PDF) belegt, dass sich die jüngsten Mitarbeiter heute auch offiziell am häufigsten krank melden. Die 15- bis 19-Jährigen (Auszubildende, Volontäre) führen über alle Altersgruppen, gefolgt von den 20- bis 24-Jährigen (Berufseinsteiger). Die meisten Fehltage wegen psychischer Erkrankungen verzeichnen die 30- bis 35-Jährigen (junge Berufstätige). Über mögliche Gründe ist schon viel diskutiert worden, auch an dieser Stelle. Doch es wäre sicher zu eng gefasst, das Phänomen auf den medizinischen Aspekt zu verengen. Die Arbeit ist für viele heute nachrangig geworden.

 

Arbeitgeber haben die Loyalität zuerst aufgekündigt
Als jemand, der seit bald 35 Jahren (1989) in der Medienbranche tätig ist, würde ich sagen: Die Arbeitgeber haben die Loyalität zuerst aufgekündigt. Das Ausgliedern ganzer Bereiche, das Verlassen der Tarifverträge, der Trend zu ewigen Praktika und befristeten Verträgen, das Streichen von Zusatzleistungen, Verschlechterungen bei den Büros und redaktionellen Arbeitsbedingungen – all das hat die Bindung an den Arbeitgeber und Job gelockert. Daneben hat die Rekord-Steuerbelastung auf Lohneinkommen dazu geführt, dass selbst 500 Euro Gehaltserhöhung netto inzwischen keinen großen Anreiz mehr darstellen.

 

So bewegt sich mancher junge Medienprofi heute irgendwo zwischen Dienst nach Vorschrift – keine Überstunde mehr, das Gehalt ist ja nur mäßig – und passivem Widerstand. In meinem Ratgeber „Ich will doch nur meinen Job machen” habe ich das so zusammengefasst: „Gerade aufstrebende Frauen (und Berufsanfänger) finden sich oft in zu niedrig bezahlten Positionen in undankbaren, teilweise unlösbaren Umständen wieder, die ihnen auch noch als ,Chance’ untergejubelt wurden. Die Männer, wenn sie nicht sowieso für die interne Quote übergangen werden, melden sich da inzwischen lieber gleich in den Vaterschaftsurlaub ab.” Was wie Ironie klingt, ist leider heute häufig Realität.

Zwiespältige Wahrnehmung der Älteren


Ältere Medienprofis begrüßen es einerseits, dass sich die Jüngeren nicht mehr „für den Job aufopfern”. Sie registrieren auch, wie die neuen Kollegen benachteiligt werden, beginnend mit der Herabstufung vom Volontär zum Journalistenschüler, um kein Tarifgehalt mehr zahlen zu müssen. Auch Dienstreisen, aufwändige Recherchen, Budgets für Informanten und Freie sind oft nicht mehr drin, der Beruf wird monotoner und anstrengender. Nur bleibt die Arbeit bei den häufigen Abwesenheiten der Jungen an ihnen hängen. Mancher muss zudem eigene volljährige Kinder nun noch immer beim Lebensunterhalt unterstützen.

 

Die Interessen der Beteiligten konkurrieren in diesem Fall, so lassen sich Empfehlungen nur individuell und nach Karrierephase geben. Die Arbeitgeber müssen sparen und tun das dort, wo es – auch angesichts des restriktiven Arbeitsrechts – am leichtesten fällt, also bei den Neueinstellungen und Befristeten. Gleichzeitig ist es schwer zu rechtfertigen, jüngere Kandidaten für Führungspositionen zu bevorzugen, die dann nicht liefern können oder wollen (weil sie z. B. eigentlich mit privaten Angelegenheiten ausgelastet sind). Hier könnte der offenere Blick auf interne Bewerber über 40, die inzwischen oft übersehen werden, und auf die Daten (Krankenstand, Fluktuation, Performance) helfen.

 

Klarheit bei Stellensuche oder Neuorientierung

Dass sich jüngere Medienprofis nicht ausnutzen lassen wollen, ist verständlich. Dem Einzelnen ist Klarheit bei der Stellensuche bzw. Neuorientierung zu empfehlen: Eine Führungsposition hat nicht nur Vorteile (Titel, Gehalt, Einfluss), sondern prägt das eigene Leben weit über das übliche Maß und erfordert manches Opfer. Da können Arbeitgeber auf LinkedIn noch so verständnisvoll oder gar vorgeblich begeistert über den neuen Fokus aufs Private sprechen: Im betrieblichen Alltag funktioniert das nur zulasten der anderen Teammitglieder und bald der eigenen Gesundheit. So wäre es möglicherweise sinnvoll, jüngere Medienprofis zurückhaltender zu befördern, die Geeigneten dann aber stärker zu fördern (z. B. örtliche Flexibilität) und deutlich besser zu bezahlen.

 

Ältere Medienprofis haben häufig einen ganz ähnlichen Bedarf, auch wenn er sich anders ausdrückt. Sie sind laut der AOK-Studie zwar seltener krank gemeldet, jedoch dann länger. Zudem brauchen sie ebenso Zeit für Privates, etwa für eine gewünschte nebenberufliche Selbstständigkeit und die Pflege von Angehörigen. Für sie empfiehlt sich spätestens ab dem 50. Lebensjahr eine aktive Zukunftsplanung, die über Altersteilzeit und Frührente hinausgeht: Sich neue Ziele setzen, die mit den veränderten persönlichen Schwerpunkten zu vereinbaren sind – und gleichzeitig ressourcenmäßig und finanziell realistisch.

 

Zur vergangenen Job-Kolumne: Wie Medienprofis den besten Lebensweg für sich finden

 

Zum Autor: Karriere-Coach Attila Albert (geb. 1972) begleitet Medienprofis bei beruflichen Veränderungen. Er hat mehr als 25 Jahre journalistisch gearbeitet, u.a. bei der „Freien Presse“, bei Axel Springer und Ringier. Begleitend studierte er BWL, Webentwicklung und absolvierte eine Coaching-Ausbildung in den USA. www.media-dynamics.org.